Koreanische Kultur

Koreanischer Aberglaube beim Essen: Warum zwei Löffel Reis besser sind als einer

Koreanischer Aberglaube beim Essen: Warum zwei Löffel Reis besser sind als einer

Aberglaube spielt in vielen Kulturen eine bedeutende Rolle – und Korea bildet da keine Ausnahme. Besonders im Zusammenhang mit Essen gibt es zahlreiche traditionelle Glaubenssätze, die bis heute von vielen Menschen befolgt werden. Auch in unserer Familie war das so. Ich erinnere mich noch gut daran, wie meine Mutter großen Wert darauf legte, niemals nur einen einzigen Löffel Reis zu servieren. Egal, ob groß oder klein – ein zweiter Löffel musste immer hinzugefügt werden. Sie betonte das so eindringlich, dass es mir bis heute in Fleisch und Blut übergegangen ist.

Doch woher stammt dieser Brauch? Und welche Bedeutung steckt wirklich dahinter?

Der zweite Löffel Reis: Zwischen Aberglaube und Herzenswärme

In vielen koreanischen Haushalten gilt: Ein einzelner Löffel Reis wird nicht serviert. Stattdessen kommt immer ein zweiter dazu – auch wenn es nur symbolisch ist. Dahinter verbergen sich zwei tief verwurzelte Erklärungsansätze:

1. Symbolik der Ahnenverehrung vermeiden
In der traditionellen Ahnenritualpraxis (jesa, 제사) wird eine Schale Reis mit einem einzelnen Löffel oder aufrecht stehenden Stäbchen als Opfergabe für die Verstorbenen dargeboten. Ein einzelner Löffel Reis kann deshalb – insbesondere in einer separaten Schale – ungewollt an Tod oder Trauer erinnern. Um diese negative Assoziation im Alltag zu vermeiden, wird ein zweiter Löffel hinzugefügt.

2. Zeichen von jeong – Mitgefühl, Fürsorge, Verbundenheit
Gleichzeitig ist der zweite Löffel ein Ausdruck von jeong (정) – einem zentralen Begriff in der koreanischen Kultur, der schwer zu übersetzen ist. Jeong beschreibt eine tiefe emotionale Verbindung, Fürsorglichkeit und Großzügigkeit. Wer einen zweiten Löffel Reis gibt, zeigt Zuwendung – und vermeidet damit den Eindruck von Kälte oder Gleichgültigkeit. Man sagt auch: Jeong ddoleojyeo (정이 떨어져), wenn jemand als lieblos oder distanziert empfunden wird.

Beide Deutungen ergänzen sich – sie zeigen, wie eng Symbolik und Herzlichkeit in der koreanischen Alltagskultur miteinander verknüpft sind.

Weitere koreanische Essensaberglauben

Neben der Regel mit dem zweiten Löffel gibt es viele weitere Bräuche und Überzeugungen rund ums Essen, die in Korea verbreitet sind:

1. Stäbchen nicht senkrecht in den Reis stecken
Steckt man jeotgarak (Essstäbchen) senkrecht in eine Reisschale, erinnert das an Räucherstäbchen, die bei Gedenkzeremonien für Verstorbene verwendet werden. Deshalb gilt diese Geste als großes Tabu.

2. Nicht pfeifen, während man nachts isst
Ein alter Aberglaube besagt, dass man beim nächtlichen Essen nicht pfeifen sollte – da dies Geister oder böse Wesen anlocken könne. Auch wenn heute kaum jemand daran glaubt, wird es oft noch vermieden.

3. Keine ungerade Anzahl von Schalen servieren
Besonders bei festlichen oder familiären Mahlzeiten wird darauf geachtet, eine gerade Anzahl von Beilagen (banchan) zu servieren. Ungerade Zahlen gelten als mit dem Tod assoziiert, während gerade Zahlen für Ausgewogenheit und Glück stehen.

4. Keine Algensuppe vor Prüfungen
Viele koreanische Schüler vermeiden es, vor Prüfungen Miyeok-guk (미역국, Algensuppe) zu essen. Die Suppe enthält glitschige Algen – und mit dem Ausdruck „durchrutschen“ (meollida) wird die Angst verbunden, bei der Prüfung zu scheitern.

Zwischen Respekt, Symbolik und Gefühl

Koreanische Essensgewohnheiten sind mehr als nur Geschmackssache – sie spiegeln Werte, Emotionen und Traditionen wider. Der zweite Löffel Reis mag auf den ersten Blick nebensächlich erscheinen, doch er steht sinnbildlich für eine tief verwurzelte Kultur der Rücksichtnahme, der familiären Wärme und des Respekts gegenüber den Vorfahren. Und manchmal, wenn ich selbst koche oder serviere, merke ich, wie sehr mir dieser einfache, aber bedeutungsvolle Brauch in Fleisch und Blut übergegangen ist.